Die spanische Regierung hat seit dem Jahr 2012 einige Reformen durchgeführt, um die in der Vergangenheit aufgedeckten Schwächen des Ausbildungssystems zu reduzieren. Dabei standen insbesondere die Stärkung einer praxisnahen beruflichen Bildung sowie die gleichzeitige Implementierung von Bestandteilen einer unternehmensbasierten dualen Ausbildung im Vordergrund der Maßnahmen. In vielen Teilbereichen hat Spanien sich bei der Ausgestaltung am deutschen Vorbild orientiert.

Die duale Berufsausbildung in Spanien

Die autonomen Regionen Spaniens haben erstmals im Kursjahr 2012/13 mit der Einführung von Projekten der dualen Berufsausbildung begonnen.

Definition der dualen Berufsausbildung

Die duale Berufsausbildung („Formación Profesional Dual“ oder kurz „FP dual“) ist definiert als eine berufliche Ausbildung, die in der Regel zu einem Teil in einem Ausbildungszentrum und zum anderen Teil in einem Unternehmen durchgeführt wird. Das bedeutet, die theoretische und praktische Ausbildung finden im Wechsel statt.

Charakteristika und Struktur dieser Ausbildungsform

Charakteristika sind:

  • Das Mindestalter für eine duale Berufsausbildung liegt bei 16 Jahren, das Höchstalter bei 25, bei Arbeitslosigkeitsraten über 15 % bei 30 Jahren.
  • Die Auszubildenden unterzeichnen einen Lehr- und Ausbildungsvertrag mit einem Unternehmen für eine Dauer von ein bis drei Jahren (in Ausnahmefällen können es auch sechs Monate sein).
  • Mindestens ein Drittel der Ausbildung findet praxisbezogen im Unternehmen statt, im letzten Ausbildungsjahr sogar bis zu 65 %.
  • Die Arbeitszeit im Unternehmen darf im ersten Jahr maximal 75 % und im zweiten und dritten Jahr maximal 85 % der im Tarifvertrag oder gesetzlich festgelegten Arbeitszeit betragen.
  • Überstunden oder Nachtarbeit sind ebenso untersagt wie Schichtarbeit.
  • Die Auszubildenden erhalten ein Gehalt (durchschnittlich 400 Euro monatlich) und haben Anspruch auf Sozialversicherung.

Die Struktur des dualen Ausbildungssystems stellt sich wie folgt dar:

  • Im Rahmen der schulischen Bildung werden Basiskompetenzen und Wissen in Bezug auf die Qualifikation entwickelt.
  • Innerhalb der Unternehmen erfolgt eine komplementäre Ausbildung im konkreten Arbeitsumfeld.
  • Ziel ist es, dass Auszubildende berufliche Expertise erlangen und diese Kompetenzen an ihrem Arbeitsplatz einzusetzen in der Lage sind.

Formen der Ausbildung

Die duale Berufsausbildung wird in fünf verschiedenen Formen angeboten:

  • Ausbildung ausschließlich in einem Ausbildungszentrum: die theoretische Ausbildung findet allein im Zentrum statt und wechselt sich mit der beruflichen Tätigkeit im Unternehmen ab
  • Ausbildung unter Beteiligung eines Unternehmens: das Unternehmen stellt dem Ausbildungszentrum Räumlichkeiten, Ausstattung oder Experten für den Unterricht (für alle oder partielle festgelegte Module) zur Verfügung
  • Ausbildung in einem autorisierten oder akkreditierten Unternehmen und in einem Ausbildungszentrum: einige Module finden im Unternehmen statt, andere komplementäre im Ausbildungszentrum
  • Aufgeteilte Ausbildung zwischen Ausbildungszentrum und Unternehmen
  • Ausschließliche Ausbildung im Unternehmen

Bereits im ersten Jahr nach Einführung der dualen Berufsausbildung in Spanien hat sich eine vorherrschende Form herauskristallisiert, die sich auch im Kursjahr 2013/14 weiter verfestigt hat: Rund 57 % der dualen Ausbildung finden gleichermaßen aufgeteilt zwischen Unternehmen und Ausbildungszentrum statt, gefolgt von der Ausbildung unter Beteiligung eines Unternehmens (mit 28 %). Beide Ausbildungsformen machen somit zusammen einen Anteil von rund 85 % der dualen Ausbildung in Spanien aus.

Die übrigen Formen dagegen sind von untergeordneter Relevanz. Am wenigsten genutzt werden die Ausbildungen durch ausschließlich Unternehmen oder Ausbildungszentrum.

Duale Berufsausbildung - Grafik: Verteilung auf Ausbildungsformen im Kursjahr 2013/14

 

Entwicklung der Teilnehmer

Gemäß Angaben im Rahmen einer Präsentation des Staatssekretärs für Bildung, Berufsausbildung und Universitäten, Montserrat Gomendio Kindelan, im April 2015 hat sich die Anzahl der teilnehmenden Bildungszentren in den autonomen Regionen Spaniens innerhalb eines Jahres um etwa 118 % von 172 (2012/13) auf 375 Einrichtungen (2013/14) und im Folgejahr auf 728 erhöht.

Eine noch deutlichere Steigerung der Teilnahme ist im gleichen Zeitraum bei den Unternehmen zu verzeichnen. Während es im Jahr 2012/13 lediglich 513 Unternehmen waren, hat sich die Zahl im Folgejahr mehr als verdreifacht auf 1.570. Im Jahr 2014/15 lag die Anzahl bereits bei 4.878.

Die Entwicklung der Schülerzahlen für die duale Berufsausbildung weist ebenfalls eine positive Tendenz auf. Im Vergleich zu 4.292 Auszubildenden im Jahr 2012/13 lag der korrespondierende Wert 2013/14 bereits bei 9.618 und 2014/15 bei 16.199. Dennoch ist anzumerken: Auch wenn die Schülerzahlen der dualen Berufsausbildung in Spanien absolut steigen, so macht ihr Anteil in Bezug auf die Anzahl der sich aktuell in beruflicher Ausbildung befindlichen Schüler insgesamt nur etwa 2 % aus.

Bildungsniveau und Berufsgruppen

Betrachtet man das Bildungsniveau, in dem duale Ausbildungen in Spanien zum Tragen kommen, so wird deutlich, dass der Schwerpunkt der Projekte mit etwa 72 % insbesondere im Bereich der höheren Bildung liegt. Nur 28 % entfallen auf den mittleren Ausbildungsweg.

In der nachfolgenden Grafik sind die Anteile der jeweiligen Berufsgruppen dargestellt, in denen duale Ausbildungen in den autonomen Regionen angeboten werden. An den ersten drei Plätzen rangieren hier die mechanische Fertigung (mit 21 %), Strom und Elektronik (mit 13 %) sowie Installation und Instandhaltung (11 %).

Duale Berufsausbildung - Grafik: Anteil der Berufsgruppen an der dualen Ausbildung im Kursjahr 2013/14

Insgesamt lassen sich etwa 70 % aller angelegten Projekte in der dualen Berufsausbildung dem verarbeitenden sekundären Sektor zuordnen (wie Energie, Textil, Chemie, Automobil etc.). Ca. 29 % entfallen auf den Tertiärsektor (bspw. Handel, Gesundheit, Tourismus) und nur 1 % auf den Primärsektor.

Vor- und Nachteile

Wie sämtliche Ausbildungsformen so werden auch für die duale Berufsausbildung Vor- und Nachteile diskutiert:

Vorteile

  • Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Ausbildung
  • Möglichkeit für Schüler/Auszubildende, den Arbeitsbereich/Sektor kennenzulernen, in dem sie arbeiten werden
  • Spezialisierung in einem konkreten Berufsfeld und somit Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften für die ausbildenden Unternehmen
  • Steigerung der Anzahl an Abschlüssen nach der verpflichtenden Sekundarbildung und Reduktion von frühzeitigen Schulabbrechern
  • Verbesserung der beruflichen Qualifikation von Jugendlichen
  • Erleichterung der zukünftigen Eingliederung von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt
  • Möglichkeit zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit

Nachteile

  • Bisher noch geringe Anzahl spanischer Unternehmen, die sich am dualen Ausbildungssystem beteiligen
  • Notwendigkeit von Betreuern, die sich für die Ausbildung verantwortlich sehen
  • Zu starke Spezialisierung auf den spezifischen Job im konkreten Unternehmen und mangelnde, breitgefächerte Grundbildung, somit oft unzureichende Anpassungsfähigkeit in anderen Berufsfeldern
  • Abhängigkeit der verfügbaren Stellenangebote in Unternehmen von der wirtschaftlichen Konjunktur

Fazit und Ausblick

Die Einführung der dualen Berufsausbildung in Spanien im Jahr 2012/13 hat die Grundlage dafür geschaffen, dem Mangel an Arbeitskräften im Bereich der mittleren Qualifikationsebene entgegenzuwirken. Bisher ist dieses Segment im Vergleich zum europäischen Mittel nur halb so groß.

Doch noch sind weitere Schritte erforderlich, um das Ausbildungssystem nachhaltig zu etablieren und für Unternehmen und Schüler attraktiv zu machen. Unternehmen bemängeln noch immer, dass das Bildungssystem nicht ihren Bedürfnissen entspricht. Hierzu ist es wichtig, dass die Ausbildungszentren die Unternehmen noch enger einbinden, denn gerade hierin liegt der wesentliche Mehrwert der dualen Berufsausbildung. Aber auch die Unternehmen selbst müssen sich einbringen, denn sie sind es, die Arbeitskräfte mit entsprechenden Qualifikationen brauchen. Eine enge Abstimmung sowie eine gute Teamarbeit zwischen Ausbildungszentren und Unternehmen sind unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche duale Ausbildung und die Schaffung eines Wettbewerbsvorteils.

Die Akzeptanz bei Schülern kann wachsen, sofern sie mit einem dualen Ausbildungsabschluss eine bessere Perspektive für sich am spanischen oder auch internationalen Arbeitsmarkt sehen.

Relevanz für Deutschland

Die spanische duale Berufsausbildung beinhaltet viele Merkmale des bewährten deutschen Systems. Außerdem arbeiten deutsche Institutionen wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer und deutsche Unternehmen verstärkt mit Spanien zusammen, um dort die duale Ausbildung weiter voranzutreiben und erfolgreich auszugestalten. So haben sich bereits vor vielen Jahren Niederlassungen deutscher Unternehmen in Spanien vernetzt und Konzepte einer dualen Ausbildung eingeführt. Dies zeigt sich u. a. am Beispiel der FEDA German Business School („Formación Empresarial Dual Alemana“), einer der ersten unabhängigen Auslandsberufsschulen. Sie wird von der Außenhandelskammer Spaniens unterstützt und kooperiert mit vielen renommierten Unternehmen wie Siemens, Mercedes-Benz, Kühne+Nagel etc. Andere Unternehmen wie Volkswagen oder SEAT verfügen über eigene Ausbildungszentren in Spanien.

Darüber hinaus wird dieser positive Trend unterstützt durch die Teilnahme Spaniens an der in 2013 gegründeten Europäischen Ausbildungsallianz, der mittlerweile über 80 Firmen und Organisationen angehören. Diese weiten ihr Angebot an Lehrstellen und Ausbildungsmöglichkeiten in Europa stetig aus. Beispielsweise BMW hat dieses Jahr beschlossen, für Spanien ein neues Programm aufzulegen, das eine betriebliche Ausbildung in Deutschland mit theoretischem Unterricht in Spanien kombiniert. Neben Unternehmen fördern auch öffentliche Behörden, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Sozialpartner sowie Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen und Forschungsinstitute die Ausbildungsinitiativen in Europa.

Immer stärker orientiert sich Spanien an deutschen Maßstäben und gleicht Lehrpläne verschiedener Fachprofile an (beispielsweise für Mechatroniker, Kfz-Mechaniker, Elektroniker). Somit reduzieren sich auch beim internationalen Personalaustausch zwischen Spanien und Deutschland zunehmend die Unterschiede; Ausbildungen und Abschlüsse werden vergleichbarer.

Mehr Informationen unter:

Educaweb
Ministerio de Educación, Cultura y Deporte
Präsentation Montserrat Gomendio Kindelan

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